Mittwoch, 22. Januar 2020

And the winner is...?

Die nächste Wahl gewinnt...
Bevor auch nur ein Plakat gehängt oder auch nur eine Stimme abgegeben wurde, steht der Sieger der kommenden Wahl bereits fest. Jeder Wahl, ob nun die Kommunalwahlen 2020 in NRW oder die Bundestagswahl 2021.
Es ist die Facebook Ireland Ltd..

Denn schon längst haben die politischen Kräfte der Bundesrepublik die "sozialen Medien" für sich entdeckt, seien es nun Parteien, Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Seit einiger Zeit bereits, bieten Parteien auch interne Schulungen für den korrekten Gebrauch "sozialer Medien" an. Man will endlich weg von dem Mief der plakatklebenden analogen Welt und etablierter Bestandteil des Raumes sein, den die Allgemeinheit gemeinhin als "Internet" betrachtet.

Aber der Begriff "soziale Medien" führt ein wenig in die Irre, denn er suggeriert Vielfalt und Pluralismus, wo nichts dergleichen existiert.
Ob nun eine Partei ihre Pressemitteilung auf Facebook präsentiert oder ein schickes Bild auf Instagram postet oder sich mittels Whatsappgruppe bespricht - stets handelt es sich um Netzangebote ein und desselben Anbieters - eben jener Facebook Ireland Ltd.

Nun hat Deutschland im Allgemeinen nicht so sehr ein Problem mit Anbieterabhängigkeiten -  den Ansatz, ein gut funktionierendes Produkt eines kommerziellen Anbieters zu nutzen, kann man schon pragmatisch nennen.
Und es ist ja auch nicht grundsätzlich ein Problem, wenn ein Unternehmen mit einem Produkt oder einer Dienstleistung Geld verdienen will.

Schwierig wird es ab dem Punkt, an dem das Produkt als öffentliche Infrastruktur missverstanden wird, an dem das Produkt nicht mehr als Produkt eines kommerziellen Anbieters wahrgenommen wird.
Und so ist es doch bereits.
Facebook ist für manche Menschen das Internet, mit ein paar Einsprenklern durch Youtube oder vereinzelte Presseangebote, mal mehr, mal weniger seriöse, abgesehen.
Der gesamte netzbezogene Raum der politischen Willensbildung und des Austausches.

Nach Pizzahut, nach Pizzahut, McDooonalds... 

Das ist, als ob sämtliche diesbezügliche Kommunikation nur noch im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden würde - zudem einem McDonalds, dessen Verkaufsraum man mittels Andrang auf Republikgröße aufgeblasen hat.
Denn, natürlich kann man noch in anderen Räumen des Internets kommunizieren - es interessiert nur keinen. Es ist niemand dort, der teilnimmt. Zuhört.

Und als vermeintliche Alternative, bietet sich mit Instagram ein Produkt desselben Anbieters an.
Und das ist ein Problem, vor allen Dingen für den politischen Diskurs.

Und damit meine ich noch nicht einmal nur den Datenschutzaspekt oder die erratische Moderation oder den Umstand, dass für Facebook noch nicht einmal eine deutsche Niederlassung existiert, die man bei strafrechtlichen Verstößen problemlos und direkt kontaktieren kann (die Hamburger Niederlassung verkauft nur Werbeanzeigen und ist gerichtlich von jeder Verantwortung für den Inhalt der Plattform freigesprochen worden).

Bleiben wir beim Bild des Verkaufsraums. Da stehen wir also alle an der Kasse oder an den Tischen und unterhalten uns, jeder bemüht sich besonders überzeugend oder wenigstens auffällig zu sein. So stellen sich die allermeisten Menschen Facebook auch vor.

Und dann kommt der Filialleiter und dreht die Lautstärke eines Sprechenden auf magische Weise lauter. Sein Gerede dringt nun unvermeidbarerweise an alle Ohren und die anderen Sprechenden werden dementsprechend übertönt.
Warum sollte der Filialleiter das tun? Weil Facebook eben nicht McDonalds ist und keine Burger verkauft, sondern Reichweite.

Die sogenannte "organische Reichweite", also das was sich aus Likes und Shares errechnet, wurde in den letzten Jahren immer mehr zugunsten bezahlter Reichweite abgesenkt. Und das gilt beileibe nicht nur für das, was sich auf den ersten Blick als Werbeanzeige erkennen lässt, Amazon oder Wish oder ähnliche Werbung.
In Facebookwerbung kann jeder investieren und jeder kann mittels finanziellem Einsatz dafür sorgen, dass seine Beiträge in den Timelines zuvor ausgesuchter Zielgruppen erscheinen.

"Achtung! Achtung! Unser Glaube ist unser Geld!"

Im Raum "Facebook", also dem, was viele Menschen als Internetpendant zum öffentlichen Raum verstehen, zählt nicht nur Argument und Aufmachung, sondern vor allen Dingen finanzieller Einsatz und entsprechend gut bestückt sind auch die Werbeetats der Parteien, für dieses sogenannte "Microtargeting". Es ist kein Wunder, wenn Sie zufällig mehr Beiträge der CDU oder der SPD in die Timeline gestrahlt bekommen, als beispielsweise von der PDL. Denn beide Parteien investieren ein Vielfaches in diese Form der Kommunikation.
Das hat mit politischem Wettbewerb, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt, nur wenig zu tun.

Natürlich hat es Materialschlachten im politischen Wettbewerb schon immer gegeben. Die einen kaufen 100 Plakate, die anderen 200. Aber ein Werbeplakat ist als ein solches erkennbar.
Die Infiltration eines als öffentlich wahrgenommenen Diskursraumes, zudem auch noch gestützt auf beständiges Profiling des Anbieters dieses Raumes, ist hingegen eine ganz andere Hausnummer. Vielleicht keine Täuschung, aber doch die vorsätzliche Akzeptanz, einer beim Adressaten vorherrschenden Selbsttäuschung.

Der Reichweitenkauf auf Facebook ist mit dem Kauf von Werbeplakaten genau genommen nicht wirklich vergleichbar. Beim Werbeplakat kaufst Du ein Plakat. Bei der Facebookreichweite, kaufst du das Plakat, die Plakatwand und die Straße, Stadt und Welt, in welcher das Plakat hängt.

"...und ein Gewissen hat es nicht..."
 
Profitieren tut davon paradoxerweise die politische Kraft, die am wenigsten von allen Bundestagsparteien in Facebookwerbung investiert - die AfD.
Dies ist aber nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn die AfD betreibt auf Facebook ein gänzlich anderes Geschäft, als die etablierten Parteien.
Die AfD informiert beispielsweise keine Leser mit Berichten zu irgendeiner Straßenbahnstreckenplanung.
Ihre Beiträge sind stets auf den Bauch abzielende Fakenews, flankiert von konzertierten Social Media Aktionen und sogenannten "Sockenpuppen"accounts. Das sind Beiträge, die in ihrer Gesamtheit (inkl. der zugehörigen Reaktionen), das Optimum aus dem Facebookalgorithmus der "organischen Reichweite" herausholen - die zwar gegenüber dem Sponsoring abgeschwächt sein mag, aber immer noch Grundlage der allgemeinen Funktion von Facebook ist.
Vereinfacht könnte man sagen, der Facebookalgorithmus ist das natürliche Biotop für emotionalisierende Bestätigungen von Vorurteilen und ähnlichen Selbsttäuschungen.
Und überspitzt könnte man sagen, dadurch, dass etablierte Parteien mittels Teilnahme und Werbegeldern, Facebook Bedeutung verleihen, querfinanzieren sie die Hetze der AfD.

"Gibst Du mir Steine, geb ich dir Sand"

Denn natürlich erhält Facebook seine Bedeutung durch die Summe aller Teilnehmenden. Dadurch, dass wir beständig Content für die Plattform produzieren, der wieder andere genug interessiert, um sich auf dieser Plattform aufzuhalten.
Als Facebook populär wurde, haben viele Akteure ihre bisherigen Netzaktivitäten auf diese Plattform verlagert. Das gilt auch und vielleicht vor allem für die Grünen, eine Partei, bei der man vor gut zehn Jahren schon mal Applaus bekam, wenn man eine Rede mit "Liebe Follower" begann.
Aber schon damals gab es Leute die vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt haben. Ich war einer davon.

Vereinfacht gesagt, hatten z.B. die Grünen vor gut zehn Jahren eine vielfältige und gehaltvolle "Bloggosphäre" und nur der Googlealgorithmus (auch noch so ein Thema) entschied, wie weit oben man in den Suchmaschinenergebnissen auftauchte. Facebookcontent taucht erst gar nicht in Suchmaschinenergebnissen auf.
Facebookcontent wirkt nur auf Facebook und es bedarf eine Facebookaccounts, um kompletten Zugang zu diesem zu haben.
Man könnte also sagen, wir haben uns selbst Reichweite genommen, um die Bedeutung einer Plattform zu pushen, in deren Ökosystem wir uns nun wieder Reichweite kaufen.
Und dabei haben wir, mit vielen Anderen, noch mit dafür gesorgt, dass der (größere) Raum, in welchem wir vorher Reichweite hatten, heute nicht einmal mehr als "Raum" wahrgenommen wird.
  
Und jetzt?

Natürlich kann man sich den Realitäten nicht entziehen. So verständlich der Boykottgedanke auch sein mag, jedenfalls wenn man die entsprechenden Problematiken als solche erkennt, so klar sollte aber auch sein, dass man den nun entwickelten Raum nicht den reaktionären Kräften überlassen darf.

Aber ebenso darf man nicht aus den Augen verlieren, was wir da gerade brach liegen lassen.

Das Internet ist eine Sphäre frei zugänglichen Wissens und der Kommunikation. Und auch wenn es niemals so anarchisch frei gewesen sein mag, wie es sich der eine oder andere vorgestellt hat, muss uns bewusst bleiben, dass es da einen öffentlichen Raum gibt, den wir für uns reklamieren können, den wir als halbwegs freies Gut teilen können.
"Usability" und Komfort darf für uns auf Dauer nicht alles sein - nicht wenn es dazu führt, dass wir freiwillig diese Räume aufgeben, um uns in die Obhut von Körperschaften zu begeben, deren Interessen naturgemäß nicht identisch mit den unsrigen sein können.
Wenn wir das für wünschenswert halten, könnten wir uns genauso gut in die Obhut der KP China begeben.

Wenn wir "Social Media" als etwas für uns Nützliches erkannt haben, dann sollte unser Ziel freie soziale Medien sein - getragen von allen, frei und unmoderiert, so integer und zweifelhaft wie die Summe ihrer Teilnehmer.

Wir sollten daran arbeiten, dass die Debatten nicht mehr nur im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden.

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