Mittwoch, 29. Januar 2020

Hu, Hu, Huawei

Das heiße Eisen aus China

Wie das "Handelsblatt" berichtet, liegen dem Auswärtigen Amt nun Belege vor, dass der chinesische IT Riese Huawei mit der chinesischen Regierung kooperiert.
Quelle hierfür seien nachrichtendienstliche Erkenntnisse der USA.

Wer wie ich schon alt genug ist, um sich an die Enthüllungen eines Edward Snowden zu erinnern, der könnte jetzt mit einer Spöttelei das Thema direkt wieder zu den Akten legen.

"Heute hat mich Veltins angerufen. Sie haben Beweise dafür, dass Warsteiner zwar besser schmeckt und auch günstiger, aber eben auch böse ist."

Aber das Thema ist zu ernst.

Herr Spion, am Telefon...

Mit Huawei kennen sich die Amerikaner bestens aus, schließlich wurde schon 2014 publik, dass der amerikanische Nachrichtendienst NSA, den chinesischen Konzern ausspioniert.

Die NSA geht bei derlei äußerst gründlich vor - so hörte sie in Europa nicht nur das europäische Parlament, nicht nur deutsche Politiker und Beamte und nicht nur mittels PRISM (verdachtsunabhängig) alle Bürgerinnen und Bürger der EU ab....
(die daran beteiligten Technologieunternehmen sind übrigens, in unterschiedlichem Ausmaß, Microsoft, Google, Facebook, Yahoo, Apple, AOL und Paltalk)
...sondern betreibt außerdem effektive Wirtschaftsspionage in Deutschland, mit besonderem Fokus auf sogenannte disruptive Technologien.
Im Falle unseres europäischen Nachbarn Frankreich, hatte sie zudem 2012 nachweislich den Auftrag, alle französischen Angebote zu internationalen Aufträgen, die ein Auftragsvolumen von 200 Millionen Dollar übersteigen, auszuspionieren.



Das dies alles ein wenig in Vergessenheit geraten ist, verwundert kaum.
Schon 2017 war dem Bundesamt für Verfassungsschutz die massive Spionage der NSA mithilfe us-amerikanischer Technologiefirmen, nicht einmal mehr eine namentliche Erwähnung wert.

USA, USA, USA... was ist mit Huawei?

Der Grund, weswegen ich in einem Beitrag zu Huawei zuerst einmal ausführlich über die USA schreibe, ist folgender:

Stand der Dinge stammt fast jede in Europa genutzte Informationstechnologie aus den USA.
Regierungen, Behörden, Unternehmen und Privatleute nutzen Produkte von Netgear, Cisco, Dell, HP, Microsoft oder Apple.
Das in Europa genutzte Internet wird dominiert von Facebook und Google. 
Mit u.A. dem "Cloud Act" und dem "Patriot Act", haben die USA Rechtsgrundlagen geschaffen, aufgrund derer die US-Regierung jedes in den USA ansässige Unternehmen zur Kooperation und Verschwiegenheit verpflichten kann - z.T. auch ausdrücklich, wenn diese Kooperation geltendes Recht eines Drittlandes verletzt.

Die massive Überwachung europäischer Unternehmen, Politik, Verwaltung und Privatpersonen, wird überhaupt erst durch diese massive Durchsetzung europäischer Infrastruktur mit us-amerikanischer Informationstechnologie möglich gemacht.

Das ist jetzt das Umfeld, in welches mit Huawei nun ein geostrategischer Rivale der USA, vorzustoßen versucht.
Wenn nun Huawei für die VR China, Spionage in Europa betreiben könnte, würde dies nicht nur jene Felder betreffen, an die wir uns eh schon gewöhnt haben (siehe oben) - es würde vor allem den us-amerikanischen Überwachungsapparat in Europa massiv stören.

Die USA reagieren allergisch auf solche Beeinträchtigungen. So geriet vor einigen Jahren auch der russische Anbieter von Antivirensoftware Kaspersky unter Beschuss der NSA.
Der Vorwurf lautete "Kooperation mit der russischen Regierung".
Hintergrund des Ganzen - das Antivirenprogramm hatte NSA Malware erkannt.


Aber spioniert Huawei nun?

Dafür gibt es, aus IT-Praktikersicht, derzeit keine Anhaltspunkte. Sie können ein Huaweiprodukt öffnen und prüfen. Sie werden darin, wie auch in Produkten anderer Hersteller, keine ominösen Spionagechips oder ähnliches finden.
Sie können auch den Netzwerkverkehr des Geräts abfangen und auswerten. Heimatfunk nach China werden Sie vermutlich nicht finden.


Das ist aber auch, bei genauerer Betrachtung, überhaupt nicht der konkrete Vorwurf.
Die Vorwürfe lauten eher wie folgt:

In China gibt es Rechtsgrundlagen, aufgrund derer die chinesische Regierung jedes chinesische Unternehmen zu Kooperation und Verschwiegenheit verpflichten kann - z.T. auch ausdrücklich, wenn diese Kooperation geltendes Recht eines Drittlandes verletzt.


Chinesische Nachrichtendienste könnten über absichtlich offen gehaltene Sicherheitslücken, sogenannte "Backdoors", Huaweiprodukte für Spionagezwecke nutzen, um z.B. Industriespionage zu betreiben.
 Wer den Text bis hierhin aufmerksam gelesen hat, dem dürfte klar sein:
Für diese Vorwürfe hat die NSA nicht viel Phantasie gebrauchen müssen.
Sie musste nur alltägliche us-amerikanische Praxis beschreiben.



Aber um die Frage zu beantworten:
Wenn wir sie lassen, werden die Chinesen Huaweiprodukte zur Spionage verwenden.
Es bedarf unsererseits dazu nur derselben Blauäugigkeit, mit der wir die Nachrichtendienste unserer "Partner" gewähren lassen.

No Spy?

Es gibt aber durchaus einen Unterschied zwischen den Technologieunternehmen aus China und den USA.
Denn Huawei bietet allen skeptischen Absatzmärkten (wie der EU) "No Spy" Abkommen an.
Aufgegriffen wurde dieses Angebot, meines Wissens nach, bisher nicht - dabei würde ein solches Abkommen, die richtige Ausgestaltung vorausgesetzt, vielleicht zu den (relativ) sichersten Netzwerkkomponenten führen, welche unter diesen Umständen machbar sind.

Es gibt kein richtiges leben im falschen

Unter den Umständen, in welchen wir diesbezüglich jetzt gerade leben, ist die Debatte um Huawei eine Groteske.
Weder in Regierung noch in der Opposition, gab es bisher ernsthafte und geeignete Bemühungen, die Daten von Unternehmen, Verwaltungen oder Privatpersonen tatsächlich vor Spionage zu schützen.

Das Meinungsfeld dazu wird im Prinzip von der Union und den Grünen eingegrenzt.
Die Union sieht die Spionagevorwürfe im Wesentlichen als nicht bestätigt an. Konsequenterweise halten das Teile der Union mit Huawei genauso, wie mit der NSA Affäre.
Die Grünen wiederum machen da gewissermaßen eine verklausulierte Unterscheidung zwischen "guten" Spionen und "bösen" Spionen.
So berief sich Annalena Baerbock in einer vielbeachteten Rede zu dieser Frage, auf einen Wertekonsenz mit den USA.
Noch im Dezember schlugen die Grünen vor, Anbieter nicht nur technisch zu bewerten, sondern auch anhand von Fragen zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und staatlicher Einflußnahme in den Herkunftsländern.

Das kann man, wenn man mal "Global Act", "Patriot Act" und NSA Affäre komplett außen vor lässt, als Plädoyer gegen Huawei verstehen.
Jedoch stellt sich hier ganz von selbst die Frage, was für uns in Europa eigentlich irgendeine nationale Rechtsstaatlichkeit bedeuten soll, wenn diese Rechtsstaatlichkeit ausdrücklich nicht für uns Europäer als Spionageopfer gilt.
Es ist für ein Kriminalitätsopfer im Allgemeinen auch nicht sonderlich relevant, ob sein Schädiger im allgemeinen oder dem Anschein nach, ein netter Kerl ist.

Das eigentliche Problem - Datenschutzverletzungen oder Milliardenschäden durch Industriespionage, behandelt diese Initiative nicht.

Doch ein zartes Pflänzlein der Hoffnung blüht durchaus noch und es blüht bei den Grünen...

DIY or die (oder "Von China lernen, heißt...")

„Bislang führen wir die Debatte um die Rolle Huaweis, um die digitale Souveränität Europas und um Versäumnisse in der IT-Sicherheitspolitik leider noch immer extrem oberflächlich“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dem RND. „Wir müssen die sich derzeit bietende Chance einer echten digitalpolitischen Neuaufstellung Deutschlands und Europas nutzen“, forderte der Digitalexperte. „Für alle Tech-Firmen, auch und gerade für die europäischen, müssen verbindliche Mindeststandards definiert, diese von unabhängiger Seite kontrolliert und Verstöße, nötigenfalls durch ein klares Haftungsregime, auch tatsächlich sanktioniert werden“, so von Notz.

Was von Notz da so vorsichtig anspricht, bedeutet zuende gedacht eigentlich nicht weniger, als eine europäische IT-Revolution.
Autoritäre Staaten mit den entsprechenden Mitteln, haben längst Anstrengungen unternommen, sich in IT-Belangen zu emanzipieren.

Russland produziert eigene (vgl. schlechte) Mikroprozessoren und verwendet ein spezielles Smartphone-OS, China verbreitet eigene Betriebssysteme, Suchmaschinen und, eben, Hardware - Huawei ist nicht vom Himmel gefallen.

Was autoritäre Staaten bewerkstelligt haben, um sich (bestenfalls) vor ausländischer Einflußnahme zu schützen oder (schlechtestenfalls) um ihr Volk zu knechten, kann die Europäische Union durchaus ebenfalls schaffen.

Um wirklichen Datenschutz, fairen Wettbewerb und durchaus auch die europäische Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir eigene Hardware entwickeln, eigene Software entwickeln und zumindest unsere öffentliche Infrastruktur umstellen.
Das ist für einen Bruchteil jener Kosten machbar, welche die Mitgliedsstaaten der EU alle paar Jahre an Lizenzgebühren in die USA abführen, es wird Arbeitsplätze schaffen und die EU in IT-Belangen auf Augenhöhe mit den USA und China bringen.

Doch bis dahin...
Warum das bisher noch nicht geschehen ist, erläutere ich ein andernmal.
Fakt ist aber eins:
Wenn wir uns mit den bestehenden Verhältnissen arrangiert haben, wenn wir kein Interesse daran haben uns zu emanzipieren, dann ist es im Endeffekt egal, an wie viele Abnehmer wir unsere Daten verschleudern.

Ein spaßiger Gedanke zum Schluß:
Vielleicht führt eine Diversifizierung der uns ausspionierenden Mächte ja im Endeffekt zu weniger Spionage - weil die sich gegenseitig behindern.


 

Mittwoch, 22. Januar 2020

And the winner is...?

Die nächste Wahl gewinnt...
Bevor auch nur ein Plakat gehängt oder auch nur eine Stimme abgegeben wurde, steht der Sieger der kommenden Wahl bereits fest. Jeder Wahl, ob nun die Kommunalwahlen 2020 in NRW oder die Bundestagswahl 2021.
Es ist die Facebook Ireland Ltd..

Denn schon längst haben die politischen Kräfte der Bundesrepublik die "sozialen Medien" für sich entdeckt, seien es nun Parteien, Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Seit einiger Zeit bereits, bieten Parteien auch interne Schulungen für den korrekten Gebrauch "sozialer Medien" an. Man will endlich weg von dem Mief der plakatklebenden analogen Welt und etablierter Bestandteil des Raumes sein, den die Allgemeinheit gemeinhin als "Internet" betrachtet.

Aber der Begriff "soziale Medien" führt ein wenig in die Irre, denn er suggeriert Vielfalt und Pluralismus, wo nichts dergleichen existiert.
Ob nun eine Partei ihre Pressemitteilung auf Facebook präsentiert oder ein schickes Bild auf Instagram postet oder sich mittels Whatsappgruppe bespricht - stets handelt es sich um Netzangebote ein und desselben Anbieters - eben jener Facebook Ireland Ltd.

Nun hat Deutschland im Allgemeinen nicht so sehr ein Problem mit Anbieterabhängigkeiten -  den Ansatz, ein gut funktionierendes Produkt eines kommerziellen Anbieters zu nutzen, kann man schon pragmatisch nennen.
Und es ist ja auch nicht grundsätzlich ein Problem, wenn ein Unternehmen mit einem Produkt oder einer Dienstleistung Geld verdienen will.

Schwierig wird es ab dem Punkt, an dem das Produkt als öffentliche Infrastruktur missverstanden wird, an dem das Produkt nicht mehr als Produkt eines kommerziellen Anbieters wahrgenommen wird.
Und so ist es doch bereits.
Facebook ist für manche Menschen das Internet, mit ein paar Einsprenklern durch Youtube oder vereinzelte Presseangebote, mal mehr, mal weniger seriöse, abgesehen.
Der gesamte netzbezogene Raum der politischen Willensbildung und des Austausches.

Nach Pizzahut, nach Pizzahut, McDooonalds... 

Das ist, als ob sämtliche diesbezügliche Kommunikation nur noch im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden würde - zudem einem McDonalds, dessen Verkaufsraum man mittels Andrang auf Republikgröße aufgeblasen hat.
Denn, natürlich kann man noch in anderen Räumen des Internets kommunizieren - es interessiert nur keinen. Es ist niemand dort, der teilnimmt. Zuhört.

Und als vermeintliche Alternative, bietet sich mit Instagram ein Produkt desselben Anbieters an.
Und das ist ein Problem, vor allen Dingen für den politischen Diskurs.

Und damit meine ich noch nicht einmal nur den Datenschutzaspekt oder die erratische Moderation oder den Umstand, dass für Facebook noch nicht einmal eine deutsche Niederlassung existiert, die man bei strafrechtlichen Verstößen problemlos und direkt kontaktieren kann (die Hamburger Niederlassung verkauft nur Werbeanzeigen und ist gerichtlich von jeder Verantwortung für den Inhalt der Plattform freigesprochen worden).

Bleiben wir beim Bild des Verkaufsraums. Da stehen wir also alle an der Kasse oder an den Tischen und unterhalten uns, jeder bemüht sich besonders überzeugend oder wenigstens auffällig zu sein. So stellen sich die allermeisten Menschen Facebook auch vor.

Und dann kommt der Filialleiter und dreht die Lautstärke eines Sprechenden auf magische Weise lauter. Sein Gerede dringt nun unvermeidbarerweise an alle Ohren und die anderen Sprechenden werden dementsprechend übertönt.
Warum sollte der Filialleiter das tun? Weil Facebook eben nicht McDonalds ist und keine Burger verkauft, sondern Reichweite.

Die sogenannte "organische Reichweite", also das was sich aus Likes und Shares errechnet, wurde in den letzten Jahren immer mehr zugunsten bezahlter Reichweite abgesenkt. Und das gilt beileibe nicht nur für das, was sich auf den ersten Blick als Werbeanzeige erkennen lässt, Amazon oder Wish oder ähnliche Werbung.
In Facebookwerbung kann jeder investieren und jeder kann mittels finanziellem Einsatz dafür sorgen, dass seine Beiträge in den Timelines zuvor ausgesuchter Zielgruppen erscheinen.

"Achtung! Achtung! Unser Glaube ist unser Geld!"

Im Raum "Facebook", also dem, was viele Menschen als Internetpendant zum öffentlichen Raum verstehen, zählt nicht nur Argument und Aufmachung, sondern vor allen Dingen finanzieller Einsatz und entsprechend gut bestückt sind auch die Werbeetats der Parteien, für dieses sogenannte "Microtargeting". Es ist kein Wunder, wenn Sie zufällig mehr Beiträge der CDU oder der SPD in die Timeline gestrahlt bekommen, als beispielsweise von der PDL. Denn beide Parteien investieren ein Vielfaches in diese Form der Kommunikation.
Das hat mit politischem Wettbewerb, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt, nur wenig zu tun.

Natürlich hat es Materialschlachten im politischen Wettbewerb schon immer gegeben. Die einen kaufen 100 Plakate, die anderen 200. Aber ein Werbeplakat ist als ein solches erkennbar.
Die Infiltration eines als öffentlich wahrgenommenen Diskursraumes, zudem auch noch gestützt auf beständiges Profiling des Anbieters dieses Raumes, ist hingegen eine ganz andere Hausnummer. Vielleicht keine Täuschung, aber doch die vorsätzliche Akzeptanz, einer beim Adressaten vorherrschenden Selbsttäuschung.

Der Reichweitenkauf auf Facebook ist mit dem Kauf von Werbeplakaten genau genommen nicht wirklich vergleichbar. Beim Werbeplakat kaufst Du ein Plakat. Bei der Facebookreichweite, kaufst du das Plakat, die Plakatwand und die Straße, Stadt und Welt, in welcher das Plakat hängt.

"...und ein Gewissen hat es nicht..."
 
Profitieren tut davon paradoxerweise die politische Kraft, die am wenigsten von allen Bundestagsparteien in Facebookwerbung investiert - die AfD.
Dies ist aber nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn die AfD betreibt auf Facebook ein gänzlich anderes Geschäft, als die etablierten Parteien.
Die AfD informiert beispielsweise keine Leser mit Berichten zu irgendeiner Straßenbahnstreckenplanung.
Ihre Beiträge sind stets auf den Bauch abzielende Fakenews, flankiert von konzertierten Social Media Aktionen und sogenannten "Sockenpuppen"accounts. Das sind Beiträge, die in ihrer Gesamtheit (inkl. der zugehörigen Reaktionen), das Optimum aus dem Facebookalgorithmus der "organischen Reichweite" herausholen - die zwar gegenüber dem Sponsoring abgeschwächt sein mag, aber immer noch Grundlage der allgemeinen Funktion von Facebook ist.
Vereinfacht könnte man sagen, der Facebookalgorithmus ist das natürliche Biotop für emotionalisierende Bestätigungen von Vorurteilen und ähnlichen Selbsttäuschungen.
Und überspitzt könnte man sagen, dadurch, dass etablierte Parteien mittels Teilnahme und Werbegeldern, Facebook Bedeutung verleihen, querfinanzieren sie die Hetze der AfD.

"Gibst Du mir Steine, geb ich dir Sand"

Denn natürlich erhält Facebook seine Bedeutung durch die Summe aller Teilnehmenden. Dadurch, dass wir beständig Content für die Plattform produzieren, der wieder andere genug interessiert, um sich auf dieser Plattform aufzuhalten.
Als Facebook populär wurde, haben viele Akteure ihre bisherigen Netzaktivitäten auf diese Plattform verlagert. Das gilt auch und vielleicht vor allem für die Grünen, eine Partei, bei der man vor gut zehn Jahren schon mal Applaus bekam, wenn man eine Rede mit "Liebe Follower" begann.
Aber schon damals gab es Leute die vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt haben. Ich war einer davon.

Vereinfacht gesagt, hatten z.B. die Grünen vor gut zehn Jahren eine vielfältige und gehaltvolle "Bloggosphäre" und nur der Googlealgorithmus (auch noch so ein Thema) entschied, wie weit oben man in den Suchmaschinenergebnissen auftauchte. Facebookcontent taucht erst gar nicht in Suchmaschinenergebnissen auf.
Facebookcontent wirkt nur auf Facebook und es bedarf eine Facebookaccounts, um kompletten Zugang zu diesem zu haben.
Man könnte also sagen, wir haben uns selbst Reichweite genommen, um die Bedeutung einer Plattform zu pushen, in deren Ökosystem wir uns nun wieder Reichweite kaufen.
Und dabei haben wir, mit vielen Anderen, noch mit dafür gesorgt, dass der (größere) Raum, in welchem wir vorher Reichweite hatten, heute nicht einmal mehr als "Raum" wahrgenommen wird.
  
Und jetzt?

Natürlich kann man sich den Realitäten nicht entziehen. So verständlich der Boykottgedanke auch sein mag, jedenfalls wenn man die entsprechenden Problematiken als solche erkennt, so klar sollte aber auch sein, dass man den nun entwickelten Raum nicht den reaktionären Kräften überlassen darf.

Aber ebenso darf man nicht aus den Augen verlieren, was wir da gerade brach liegen lassen.

Das Internet ist eine Sphäre frei zugänglichen Wissens und der Kommunikation. Und auch wenn es niemals so anarchisch frei gewesen sein mag, wie es sich der eine oder andere vorgestellt hat, muss uns bewusst bleiben, dass es da einen öffentlichen Raum gibt, den wir für uns reklamieren können, den wir als halbwegs freies Gut teilen können.
"Usability" und Komfort darf für uns auf Dauer nicht alles sein - nicht wenn es dazu führt, dass wir freiwillig diese Räume aufgeben, um uns in die Obhut von Körperschaften zu begeben, deren Interessen naturgemäß nicht identisch mit den unsrigen sein können.
Wenn wir das für wünschenswert halten, könnten wir uns genauso gut in die Obhut der KP China begeben.

Wenn wir "Social Media" als etwas für uns Nützliches erkannt haben, dann sollte unser Ziel freie soziale Medien sein - getragen von allen, frei und unmoderiert, so integer und zweifelhaft wie die Summe ihrer Teilnehmer.

Wir sollten daran arbeiten, dass die Debatten nicht mehr nur im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden.