Freitag, 15. Mai 2020

Häusliche Gewalt gegen Männer


H.
H. hat nie in seinem Leben auch nur einer Fliege was zuleide tun können.
Er hat sich nie geprügelt, hat nie seine Hand erhoben. Es wäre ihm vermutlich auch gar nicht möglich gewesen – die Hemmschwelle, die viele von uns kennen, welche uns daran hindert gewalttätig zu werden, war bei ihm stark ausgeprägt.
Und trotzdem fiel seine Partnerin über all die Jahre, mindestens drei Mal rücklings durch die Milchglasscheibe der Küchentür.

Der Ablauf war immer derselbe. H. kam nach Hause (oder das, was er für sein Zuhause hielt), meistens abgespannt und müde. Er setzte sich in die Küche, welche durch eine Tür mit Milchglasscheibe mit dem Wohnungsflur verbunden war.
Und fand sich überraschend in einer Stresssituation wieder.
Seine Partnerin, mal alkoholisiert, mal nicht, begann sofort auf ihn einzureden. Eindringlich.

Anlässe dafür bot H. sicher zu Genüge, aber das spielt jetzt weniger eine Rolle.
Ab einem gewissen Punkt in einem sowieso schon sehr einseitigen Gespräch, war immer mehr nur noch sie zu hören. Sie war laut, wiederholte sich, wurde dann und dort auch schon mal ausfallend, bis hin in den intimsten und privatesten Bereich.
Und dann wurde immer irgendwann der Punkt erreicht, an dem er darum bat, dass sie ihn in Ruhe ließ und, da das immer vergebens war, er schließlich gehen wollte.
Und sie ihn nicht gehen lassen wollte, stattdessen ihm den Weg versperrte und weiter auf ihn einredete, vielleicht sogar noch giftiger in einem eh schon toxischen Gespräch.
Nicht einmal sie selbst hat je bestritten, dass er einfach nur an ihr vorbei wollte.
Mindestens einmal gab es ein Gerangel, weil sie ihn festhielt und er sich losreissen wollte, aber meistens wollte er nur schnell an ihr vorbei und sie versuchte, wie ein Footballspieler, ihn aufzuhalten.
Und dann das Klirren, wie in einem Film, die Kinder blitzschnell im Wohnungsflur versammelt, sie am Boden zwischen den Scherben, er erstarrt und vor Überforderung und Schrecken wie gelähmt.
Und dann, da wie durch ein Wunder niemand verletzt wurde, flüchtete er durch die Wohnungstür in die Nacht hinaus.

Warum?
Ich schreibe diesen Text, weil ich den Eindruck habe, dass es Texte wie diesen noch nicht ausreichend gibt. Häusliche Gewalt, gerade in den heutigen Zeiten, ist glücklicherweise gerade… weniger wenig auf dem Schirm der Gesellschaft, als sie es sonst ist.
Aber folgt man den gängigen Erzählungen, so gibt es nur eine Opfergruppe – Frauen.
Laut den Kriminalstatistiken ist damit auch an die Mehrheit der Opfer gedacht – vier Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt, sind nun einmal Frauen, daran gibt es nichts zu deuteln.
Und u.A. deswegen gibt es Frauennotrufe, erteilen Polizisten Wohnungsverweise, gibt es Frauenhäuser – und all das noch viel zu wenig.

Aber
Ein Facebooknutzer aus Österreich schreibt:
Ein kleiner Aspekt aus der realen Welt:
Meine Frau ist dipl. Sozialarbeiterin und Bewährungshelferin.
Und es regt sie regelmäßig auf, wie unaufgeklärt Menschen, die mit Gewalt in Familien beruflich nicht tagtäglich konfrontiert sind, an die Sache rangehen. 
Gerade jetzt, in Zeiten des Lockdown, lief im österreichischen Fernsehen verstärkt Werbung für den Frauennotruf. Diese Werbung stellte eine stereotype Prügelsituation dar, in der - natürlich - der rohe, unkontrollierte Mann die arme, hilflose Frau verdroschen hat. Am Ende sah man in Großaufnahme das blutig geschminkte Gesicht der Frau, darunter eingeblendet die Telefonnummer. 
Der berufliche Alltag meiner Frau erzählt eine andere, ignorierte Geschichte. Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen, weil Männer, die verprügelt werden, ein Identitätsproblem haben. Die Scham ist noch größer als bei Frauen, und solche Werbungen verstärken noch das Gefühl, man hat in der Welt der Opferhilfe als Mann nichts verloren. Bitte alle die Hände hoch, die schon mal einen breitenwirksamen Spot für männliche Opfer häuslicher Gewalt gesehen haben. Keiner? Dachte ich mir. Aber es gibt sie. Mehr, als die "Statistik" erfassen kann, weil sie sich schlicht nicht an irgendjemand wenden (können?). Meine Frau erzählte mir, wenn sich Männer tatsächlich über die Schwelle trauen, den Notruf zu wählen, der ihnen im Fernseh-Spot offeriert wird, werden sie schroff darauf hingewiesen, an der falschen Stelle zu sein.

Männer als Opfer
Ein Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt sind Männer. Dabei wird allgemein von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Aber selbst das ist schon deutlich mehr als nur eine Ausnahme von der Regel. Das ist zum Beispiel ungefähr das Doppelte des Anteils, den Ausländer an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands haben.
Es ist ungefähr das Dreifache des Anteils der Menschen, die in Deutschland blond zur Welt kommen.
Also beileibe keine vernachlässigbare Größe.
Doch finden wir diesen Umstand in der dazu gehörigen Debatte entsprechend repräsentiert?

Ich denke: Nein, das kann man so nicht sagen.
Man sieht den Fall bestenfalls oft eingeräumt, so wie ein exotisches Ereignis, pflichtschuldig erwähnt um sich dann doch wieder der größeren Opfergruppe widmen zu können.
Wir sehen keine Plakatwände oder Werbespots die auf Männernotrufe hinweisen und was Männerpendants zu Frauenhäusern angeht – als ich das letzte Mal gegoogled habe, konnte ich sie mit Fingern und Zehen abzählen.
Plätze. Nicht Häuser.

Opfer sein - verboten
Am Erheblichsten empfinde ich jedoch die mangelnde Akzeptanz von Männern als Opfer.
Die bloße Erwähnung von Männern als Opfer häuslicher Gewalt, bringt dir in entsprechenden Diskussionen, Reaktionen ein, die von einem müden Lächeln bis zur offenen Anfeindung reichen.
Gerade von Frauen.

Der Gedanke von Frauen als Täterinnen und Männern als Opfer erscheint manchem interessierten Diskutantenmenschen höchst unangenehm zu sein.
Das einer Frau, die selbst einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, es schwerfällt, Verständnis für Opfer aus der Gruppe aufzubringen, aus welcher ihr Täter stammt, kann ich durchaus nachvollziehen.
Warum man jedoch zu dieser Thematik, pauschal auf so eine aggressive Empathielosigkeit stößt, entzieht sich meinem Verständnis.
Empfinden Opfer nicht normalerweise Solidarität mit anderen Opfern?
Warum ist das hier anders?

Die Antwort lautet meiner Meinung nach: Rollenverhalten.

Das Opfer Frau empfindet keine Solidarität für das Opfer Mann, da sie selbst geschlechtsspezifische Stereotypen vertritt.
Und damit wäre dann der Punkt erreicht, an dem wir erkennen, dass es bei häuslicher Gewalt nicht wirklich immer um häusliche Gewalt geht.
Vielmehr wird das Thema immer auch mit anderen Genderthemen in Verbindung gebracht, die alle gemeinsam haben, dass Nichtmänner in unserer Gesellschaft strukturell benachteiligt werden.
Da geht es dann auch um Themen wie Genderpaygap, Sexismus, „Männerbünde“, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bis hin zu der (linguistisch nicht unumstrittenen) These, dass schon die Sprache Nichtmänner unterdrückt.

Die pauschale Verortung von Männern als Tätern und die (nicht immer scherzhaft gemeinte) Deklaration von Frauen als „die besseren Menschen“, hat für Jene die das verfolgen den Vorteil, dass ein komplexes Thema vereinfacht und eine schuldige Gruppe gefunden wird.

Meiner Meinung nach, ist es anstelle dessen eigentlich ziemlich unstrittig, dass „Gender“ etwas ist, welches beständig von allen Beteiligten konstruiert wird – eine ganz oder teilweise von Männern dominierte Welt, ist meiner bescheidenen Ansicht nach, schon aus mathematischen Gründen nicht ohne die Mitarbeit von Frauen aufrecht zu erhalten.
Natürlich darf das nicht zu Täter-Opfer Umkehrungen führen – aber die pauschale Deklaration eines Geschlechts als Täter, ist mindestens genauso rückständig und kontraproduktiv wie die Ansicht, Frauen gehörten zuhause an den Herd.
Vielleicht bedingt das Eine das Andere sogar.

Doch bevor ich mich nun ebenfalls in der diffusen Themenvermengung zu lange aufhalte, möchte ich wieder zur häuslichen Gewalt zurück.

Back to topic
Männer werden also auch Opfer häuslicher Gewalt, aber es wird ihnen nicht zugestanden.
Nicht wirklich.
Das beginnt schon beim Gewaltbegriff, der in dieser Hinsicht vergleichsweise willkürlich, auf die Anwendung körperlicher Gewalt bezogen ist.
Und ja, die 20% Männeropfer sind Opfer körperlicher Gewalt.
Nehmen wir H. aus dem Eingangsbeispiel einmal.

Gemäß des üblichen Gewaltbegriffs, ist nur eine Person in der Geschichte gewalttätig geworden – H.. Sei es durch ein Rempeln oder den Versuch sich vorbei zu drücken – er ist derjenige, der seine Partnerin durch die Küchentürscheibe befördert hat.
Der Vorlauf hat gemäß diesen Gewaltbegriffs, nichts mit Gewalt zu tun.
Weder der Umstand, dass sie ihn zuvor am Gehen gehindert hat, noch das Einreden ohne Unterlass.
Jeder halbwegs achtsame Mensch, sieht darin sicher eine Übergriffigkeit.
Aber Gewalt?
Sicher bin ich mir darin auch nicht, aber Fakt ist, dass permanentes Einreden oder das Nicht-zur-Ruhe-kommen-lassen oder permanente Beschallung, der sich das Opfer nicht entziehen kann, zu den profunden Verhör und Foltermethoden zählen, die z.B. in Guantanamo angewendet werden.

Ich will nicht jede Gewalttat mit einem etwaigen Vorlauf entschuldigen. Mir geht es um Opfer, nicht um Täter – wobei, zur Vermeidung von Gewalttaten es sicher prinzipiell Sinn machen würde im Hinterkopf zu behalten, dass Opfer auch Täter werden können.
Aber auf den Opferaspekt geschaut, wer ist in dieser Geschichte eigentlich Opfer geworden?
Meiner Meinung nach, ist es H. gewesen.
Er wurde bedrängt, er wurde beleidigt und ihm wurde über Stunden nicht die Möglichkeit gegeben, sich zurück zu ziehen – und das auch noch in seinem „Zuhause“, seinem Ruheort und Schutzraum.

Glücklicherweise hatte H. damals noch ein Zimmer bei seinen Eltern. Ich habe mich oft gefragt, was gewesen wäre, wenn er dauerhaft überhaupt keinen Fluchtort gehabt hätte.
Einen Ort an den er sich wenden kann, gab es damals in GE für Männer jedenfalls nicht. Es gab auch keine Hotline. Und die Polizei – hätte diese seine Partnerin der Wohnung verwiesen, für das was diese mit ihm getan hat?
Stattdessen fuhr er Nachts vor Wut gegen Verkehrsschilder. Er ging in Spielhallen.
Das war es, was die Gesellschaft für Opfer wie H. an Hilfe zu leisten imstande war.
Und, mit Verlaub, sonderlich viel hat sich daran nicht geändert.

Männer haben enorm höhere Selbstmordquoten als Frauen.
Ihr Opferanteil an häuslicher Gewalt wird nicht im entferntesten in der Debatte um häusliche Gewalt berücksichtigt.

Häusliche Gewalt trifft weit mehrheitlich Frauen und es wird zu wenig dagegen getan.
Häusliche Gewalt trifft minderheitlich, aber nicht unerheblich, Männer und es wird gar nichts getan.

Das zu Schreiben ist mir schwer gefallen, denn auch ich habe das so in mir drin und bekomme es so vermittelt: Männer sind Täter.
Männer sind keine Opfer.
Wer Männer als Opfer deklariert, relativiert das Opfertum von Frauen.
Wer häusliche Gewalt gegen Männer thematisiert sehen möchte, ist rückständig und antifeministisch.
Und es fällt mir schwer zu glauben, dass dieser Text nicht ohne Argwohn gelesen wird – dass er wie Texte über Häusliche Gewalt gegen Frauen gelesen wird. Das in ihm nicht nach vermeintlichen Relativierungen Ausschau gehalten wird.

In der Parteipostille der GRÜNEN war vor kurzem eine Diskussion… mit… drei(?) Frauen und einem Mann. Der Mann, Sozialarbeiter in einem Männerprojekt, erwähnte das Männer auch Opfer werden können.
Die Erwiderung einer der beteiligten Damen war: „Jetzt spricht ja wieder nur der Mann!“
Als Angehöriger des Tätergeschlechts, darf ich also eigentlich noch nicht einmal darüber schreiben.

Da Frauen es aber im Allgemeinen nicht tun, habe ich es trotzdem getan.

Letzter GedankeIn einem Sachverhalt, in dem es nur Täter und Opfer geben kann, sollte es niemandem verwehrt sein, gesichtswahrend Opfer sein zu können, wenn er zum Opfer geworden ist.

Freitag, 7. Februar 2020

Auf der Suche nach der Mitte

"Hier ist die Mitte. Hier in der Mitte sind wir - und nur wir."
 (Angela Merkel, 2007)

In Thüringen hat sich nun Thomas Kemmerich (FDP), als "Kandidat der Mitte", von den Nazis der AfD zum Rekordministerpräsidenten wählen lassen.
Mittlerweile ist er wieder zurückgetreten und seine Partei, nebst CDU Thüringen, erklärt seinen überraschenden Wahlantritt so:

Man habe eben jenen besagten Kandidaten "der Mitte" aufstellen wollen.
Wenn das so wichtig ist, darf die Frage auch mal gestellt werden, was das eigentlich ist, diese "Mitte".
Oder wer.

1998 redete Gerhard Schröder noch von einer "neuen Mitte" und zählte als Bestandteile dieser neuen Mitte gleich mal so jeden auf, der nicht bei drei auf den Bäumen war.
2020 formuliert die FDP ein "Angebot aus der Mitte für die Mitte" - wäre der Begriff "Mitte" nicht, man könnte ein Angebot der FDP an sich selbst, für typisch gelbes ICH!ICH!ICH! halten.

Wem das noch zu wenig Mitte war, dem sei die letzte Landtagswahl in Thüringen ans Herz gelegt. Sowohl der Wahlkommentator der Öffentlich Rechtlichen als auch später die TAZ, hatten einen neuen Protagonisten der Mitte ausgemacht: Die LINKE.
Wenn auch nur die Ramelow LINKE. In Thüringen. Aber immerhin.

Und nein, auch damit noch nicht genug.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann, schrieb 2008 für die Böll-Stiftung schon von seinerseits als notwendig erachteten Bewegungen der GRÜNEN.Natürlich in die Mitte.
Und wenn man den Krakeelern der AfD glauben will, dann sind die GRÜNEN dort auch schon angekommen - als "Mainstream", was man wohl als Mitte verstehen könnte - würden die blauen Braunen nicht zugleich auch behaupten, Teil einer schweigenden Mehrheit zu sein.
Aber möglicherweise hat in der AfDealität, Mitte einfach nichts mit Mehrheit zu tun.

Die Mitte ist also jeder und niemand, alles und gar nichts?


So falsch ist das gar nicht.
Denn streng genommen, bezeichnet "Mitte" einen Punkt, den Mittelpunkt.
Niemand kann exakt auf einem Mittelpunkt stehen, er steht immer größtenteils außerhalb dieses Mittelpunkts.
Deswegen gibt es ja auch den Begriff der "Politischen Mitte", welcher das Dilemma, dass niemand geometrisch hauptsächlich Mitte sein kann, auf typisch politische Art löst:
Mittels Diffusität.

Wie so oft hilft hier die Wikipedia.
Als "Mitte" verstehen sich demokratische Parteien, eingegrenzt durch die extrem linken und extrem rechten Ideologien. Für Deutschland speziell, wäre die Mitte wohl zwischen den traditionellen Hauptströmungen der Sozialdemokratie und des Konservatismus angesiedelt.

Schiesst ihnen auch spontan die Frage durch den Kopf, wieso eigentlich sich die FDP sich als Zwischending aus Sozialdemokratie und Konservatismus betrachtet?Politiker der CDU, z.B. in Gelsenkirchen, haben da wohl einen anderen Mittebegriff. Für Sascha Kurth ist die LINKE eine extreme linke Partei.
Verfassungsschutz, DKP und MLPD mögen da noch so hysterisch kichern, standhaft wird diese Behaup... Haltung verteidigt, sowohl in Gelsenkirchen Hüllen wie auch von Mike Mohring in Erfurt.

Nun muss man Wikipedia natürlich nicht als Referenzwerk betrachten, aber die Bundeszentrale für politische Bildung ist da auch nicht hilfreicher - dort ist die politische Mitte ein inhaltsleerer Mythos, der hauptsächlich als Projektionsfläche und zum positiven Verkaufen fehlender Zielorientiertheit, einen politischen Nutzen entwickeln kann.

Aber Kurth ist damit ja absolut nicht alleine. Die selbsternannte Mitte der Mitte, mit Angeboten aus der Mitte für die Mitte, die FDP, deklariert ja so ziemlich alles, was nicht CDU oder FDP ist, als "links" und damit zutiefst unmittig.
Damit übrigens auch die SPD, was wiederum die LINKE zu einem hysterischen Kichern verleiten dürfte.

Die AfD wieder wurde auch schon dabei erwischt, so ziemlich alles als links und damit unmittig zu betrachten, was nicht AfD ist - denn mag man FDP und CDU noch als "bürgerlich" anerkennen, so bezeichnet man die Union doch als "sozialdemokratisch" (laut FDP Definition "links").

Für manche Sozialdemokraten (beider Parteien) ist die CDU wiederum "rechts".

Alle wollen Mitte sein


Nur die LINKE nicht, die hatte sich ja in einem Akt beispielloser Dummheit, diesen nichtssagenden und unmittigen Namen verpasst - was sie, zu allem Überfluß, nicht davor geschützt hat, in Thüringen als "Mitte" wahrgenommen zu werden.

Es ist halt gemütlich in der Mitte.
Ob nun als Spatz unter Spatzen, im Winter auf einem kahlen und kalten Zweig oder als Partei, welche maximal viele Menschen einsammeln will - bei zugleich minimalster Profilierung.

Die Politische Mitte als Feld
Verstehen wir die "politische Mitte" also als Feld, welches sich um einen Mittelpunkt erstreckt - wo sind dann die Ränder?
Die Wikipedia war da klar - bei den extrem linken und extrem rechten Kräften, in Gegensatz gesetzt zu den "demokratischen" Parteien.
Hier ist die politische Mitte also alles was eine demokratische Partei ist.

Damit wäre die LINKE eine Partei der Mitte und formaldemokratisch betrachtet, ebenso die AfD wie auch die DKP.

Blicken wir jetzt noch einmal auf die Aussagen aus Parteien zurück, ist Mitte immer etwas, von dem man selbst Teil ist und die allermeisten anderen nicht.
Schöner kann man es eigentlich nicht beschreiben, dass man sich politisch für den Nabel der Welt hält - ist doch der Nabel immerhin halbwegs Mittelpunkt von einem selbst und man selber ja die mittigste Mitte der politischen Mitte.

Der springende (Mittel)punkt

Sie haben vielleicht den Eindruck, dass ich hier rotierenden Käsequatsch schreibe und Sie haben Recht.
Es hat mit dem zu behandelndem Gegenstand zu tun.
"Mitte" ist so ein beliebiger und inhaltsleerer Begriff, dass Dampfplauderer wie ich dazu stundenlang herum dampfen könnten.
Ich würde sogar sagen, er ist unpolitisch, bestenfalls Marketing.

Er definiert nichts, er beschreibt nichts, er dient nur dem Ausschließen.
Wer sich heute als "Partei der Mitte" bezeichnet, erklärt eigentlich nur, dass der Kern seiner Existenz, die Nichtexistenz als jemand anders ist.

Eine enorme und wichtige Erkenntnis, welche Säuglinge übrigens ungefähr im Alter von fünf Monaten machen.
Glücklicherweise können die weder Plakate hängen, noch Facebookwerbung schalten - sie können ja nicht einmal sprechen und so bleiben uns viele, viele Verkündungen von Selbstverständlichkeiten erspart.

Von den drei politischen Verblödungsbegriffen der Blödeste...
Es scheint ja allgemein verbreitete Ansicht zu sein, dass der Mensch in einer Demokratie zu blöd für Politik ist. Anders lässt es sich kaum erklären, weswegen man permanent bemüht ist, Politik mit allergröbsten Vereinfachungen zu kategorisieren und verzerrt darzustellen.
Eine ordoliberale "Migrationskritikerin" wie Sahra Wagenknecht, ist mit "links" ebenso falsch beschrieben wie die gelebte katholische Soziallehre a'la Norbert Blüm als "rechts".

Aber wenigstens versucht man, mit diesen Begriffen noch etwas zu beschreiben - wenn auch verzerrt.
"Mitte" hingegen beschreibt gar nichts, außer das Nichtbestandteilsein in einem Spektrum (linksrechts), welches doch angeblich... ja, das gesamte Spektrum sein soll.
Ein Begriff also, der nur als Leugnung seiner eigenen Grundlagen existiert.

...und schädlich obendreinDenn lebt Demokratie nicht vom Austausch und der Kompromisssuche, zwischen unterschiedlichen Haltungen?
Was bedeutet dann also "Ich-bin-der-Nabel-der-Welt-und-erkenne-die-meisten-anderen-nicht-an"?

Und unnötigPolitik die sich an bedeutungslosen Begrifflichkeiten abarbeitet, ist Beschäftigungstherapie a'la Mandalaausmalen in der Arbeitsförderung.
Es gibt sehr klare und eindeutige Bezeichnungen für das, was man politisch befördern oder bekämpfen will.

Man kann zum Beispiel sagen, dass man die Verteilungsfrage stellen will (LINKE) oder sie mittels Lohnarbeit für alle Zeiten beantwortet sieht (SPD), man kann ökologisch sein (Grün) und dabei noch anthropozentrisch (Teile der Grünen, FDP, SPD, LINKE, CDU).
Man kann pazifistisch sein, interventionistisch, konfrontativ oder ausgleichend.

Man kann Eigentum als wesentlichen Bestandteil von Freiheit ansehen oder die Befreiung von Hunger und Existenzangst. Man kann sozial sein, im emanzipatorischen Sinne, im paternalistischen Sinne, maximal oder minimalistisch. Man kann auch unsozial sein.

Und man kann und muss, jederzeit, als Demokrat gegen Kräfte sein, die unsere Demokratie und ihre humanistischen Grundlagen in Frage stellen.

Mit Verlaub, wir sind nicht gegen die AfD weil sie "rechts" ist, egal von welcher Warte aus, auch nicht weil sie "extrem" ist, egal von welcher Warte aus.
Die AfD ist gruppenbezogen menschenfeindlich und keine andere etablierte Partei ist gruppenbezogen menschenfeindlich.

Wer die AfD einwebt, in diesen irreführenden Teppich der vereinfachenden Gesäßkategorien, wer ihre Menschenfeindlichkeit nicht benennt, sondern nur ihre Extremität und diese auch noch in Relation setzt zu einer vermeintlichen Extremität eines dunkelrotsozialdemokratischen Ministerpräsidenten, der benennt nicht den schwerwiegensten Grund, weswegen wir als Demokraten die AfD ablehnen.

Die politische Mitte ist nur heiße Luft

Erlauben Sie mir einen Ratschlag an die Parteien der "Mitte":

Schmeißen Sie ihre PR Berater raus!
Kündigen Sie die Verträge mit den Agenturen!
Und schicken Sie jeden Nachwuchspolitiker, der da was von der "Mitte" salbadert, zum Kloputzen auf dem nächsten Bundesparteitag!

Sagen sie was sie wollen, wer sie sind und wie sie die Welt sehen.
Und vermeiden sie es bitte zukünftig, uns mit ihren sinnentleerten Nabelschauerkenntnissen zu belästigen.

Und so sie davon unbedingt nicht ablassen wollen - stellen Sie bitte wenigstens keine Symbolkasper mehr auf, die von der AfD zu Ministerpräsidenten gewählt werden.

Vielen Dank!






Mittwoch, 29. Januar 2020

Hu, Hu, Huawei

Das heiße Eisen aus China

Wie das "Handelsblatt" berichtet, liegen dem Auswärtigen Amt nun Belege vor, dass der chinesische IT Riese Huawei mit der chinesischen Regierung kooperiert.
Quelle hierfür seien nachrichtendienstliche Erkenntnisse der USA.

Wer wie ich schon alt genug ist, um sich an die Enthüllungen eines Edward Snowden zu erinnern, der könnte jetzt mit einer Spöttelei das Thema direkt wieder zu den Akten legen.

"Heute hat mich Veltins angerufen. Sie haben Beweise dafür, dass Warsteiner zwar besser schmeckt und auch günstiger, aber eben auch böse ist."

Aber das Thema ist zu ernst.

Herr Spion, am Telefon...

Mit Huawei kennen sich die Amerikaner bestens aus, schließlich wurde schon 2014 publik, dass der amerikanische Nachrichtendienst NSA, den chinesischen Konzern ausspioniert.

Die NSA geht bei derlei äußerst gründlich vor - so hörte sie in Europa nicht nur das europäische Parlament, nicht nur deutsche Politiker und Beamte und nicht nur mittels PRISM (verdachtsunabhängig) alle Bürgerinnen und Bürger der EU ab....
(die daran beteiligten Technologieunternehmen sind übrigens, in unterschiedlichem Ausmaß, Microsoft, Google, Facebook, Yahoo, Apple, AOL und Paltalk)
...sondern betreibt außerdem effektive Wirtschaftsspionage in Deutschland, mit besonderem Fokus auf sogenannte disruptive Technologien.
Im Falle unseres europäischen Nachbarn Frankreich, hatte sie zudem 2012 nachweislich den Auftrag, alle französischen Angebote zu internationalen Aufträgen, die ein Auftragsvolumen von 200 Millionen Dollar übersteigen, auszuspionieren.



Das dies alles ein wenig in Vergessenheit geraten ist, verwundert kaum.
Schon 2017 war dem Bundesamt für Verfassungsschutz die massive Spionage der NSA mithilfe us-amerikanischer Technologiefirmen, nicht einmal mehr eine namentliche Erwähnung wert.

USA, USA, USA... was ist mit Huawei?

Der Grund, weswegen ich in einem Beitrag zu Huawei zuerst einmal ausführlich über die USA schreibe, ist folgender:

Stand der Dinge stammt fast jede in Europa genutzte Informationstechnologie aus den USA.
Regierungen, Behörden, Unternehmen und Privatleute nutzen Produkte von Netgear, Cisco, Dell, HP, Microsoft oder Apple.
Das in Europa genutzte Internet wird dominiert von Facebook und Google. 
Mit u.A. dem "Cloud Act" und dem "Patriot Act", haben die USA Rechtsgrundlagen geschaffen, aufgrund derer die US-Regierung jedes in den USA ansässige Unternehmen zur Kooperation und Verschwiegenheit verpflichten kann - z.T. auch ausdrücklich, wenn diese Kooperation geltendes Recht eines Drittlandes verletzt.

Die massive Überwachung europäischer Unternehmen, Politik, Verwaltung und Privatpersonen, wird überhaupt erst durch diese massive Durchsetzung europäischer Infrastruktur mit us-amerikanischer Informationstechnologie möglich gemacht.

Das ist jetzt das Umfeld, in welches mit Huawei nun ein geostrategischer Rivale der USA, vorzustoßen versucht.
Wenn nun Huawei für die VR China, Spionage in Europa betreiben könnte, würde dies nicht nur jene Felder betreffen, an die wir uns eh schon gewöhnt haben (siehe oben) - es würde vor allem den us-amerikanischen Überwachungsapparat in Europa massiv stören.

Die USA reagieren allergisch auf solche Beeinträchtigungen. So geriet vor einigen Jahren auch der russische Anbieter von Antivirensoftware Kaspersky unter Beschuss der NSA.
Der Vorwurf lautete "Kooperation mit der russischen Regierung".
Hintergrund des Ganzen - das Antivirenprogramm hatte NSA Malware erkannt.


Aber spioniert Huawei nun?

Dafür gibt es, aus IT-Praktikersicht, derzeit keine Anhaltspunkte. Sie können ein Huaweiprodukt öffnen und prüfen. Sie werden darin, wie auch in Produkten anderer Hersteller, keine ominösen Spionagechips oder ähnliches finden.
Sie können auch den Netzwerkverkehr des Geräts abfangen und auswerten. Heimatfunk nach China werden Sie vermutlich nicht finden.


Das ist aber auch, bei genauerer Betrachtung, überhaupt nicht der konkrete Vorwurf.
Die Vorwürfe lauten eher wie folgt:

In China gibt es Rechtsgrundlagen, aufgrund derer die chinesische Regierung jedes chinesische Unternehmen zu Kooperation und Verschwiegenheit verpflichten kann - z.T. auch ausdrücklich, wenn diese Kooperation geltendes Recht eines Drittlandes verletzt.


Chinesische Nachrichtendienste könnten über absichtlich offen gehaltene Sicherheitslücken, sogenannte "Backdoors", Huaweiprodukte für Spionagezwecke nutzen, um z.B. Industriespionage zu betreiben.
 Wer den Text bis hierhin aufmerksam gelesen hat, dem dürfte klar sein:
Für diese Vorwürfe hat die NSA nicht viel Phantasie gebrauchen müssen.
Sie musste nur alltägliche us-amerikanische Praxis beschreiben.



Aber um die Frage zu beantworten:
Wenn wir sie lassen, werden die Chinesen Huaweiprodukte zur Spionage verwenden.
Es bedarf unsererseits dazu nur derselben Blauäugigkeit, mit der wir die Nachrichtendienste unserer "Partner" gewähren lassen.

No Spy?

Es gibt aber durchaus einen Unterschied zwischen den Technologieunternehmen aus China und den USA.
Denn Huawei bietet allen skeptischen Absatzmärkten (wie der EU) "No Spy" Abkommen an.
Aufgegriffen wurde dieses Angebot, meines Wissens nach, bisher nicht - dabei würde ein solches Abkommen, die richtige Ausgestaltung vorausgesetzt, vielleicht zu den (relativ) sichersten Netzwerkkomponenten führen, welche unter diesen Umständen machbar sind.

Es gibt kein richtiges leben im falschen

Unter den Umständen, in welchen wir diesbezüglich jetzt gerade leben, ist die Debatte um Huawei eine Groteske.
Weder in Regierung noch in der Opposition, gab es bisher ernsthafte und geeignete Bemühungen, die Daten von Unternehmen, Verwaltungen oder Privatpersonen tatsächlich vor Spionage zu schützen.

Das Meinungsfeld dazu wird im Prinzip von der Union und den Grünen eingegrenzt.
Die Union sieht die Spionagevorwürfe im Wesentlichen als nicht bestätigt an. Konsequenterweise halten das Teile der Union mit Huawei genauso, wie mit der NSA Affäre.
Die Grünen wiederum machen da gewissermaßen eine verklausulierte Unterscheidung zwischen "guten" Spionen und "bösen" Spionen.
So berief sich Annalena Baerbock in einer vielbeachteten Rede zu dieser Frage, auf einen Wertekonsenz mit den USA.
Noch im Dezember schlugen die Grünen vor, Anbieter nicht nur technisch zu bewerten, sondern auch anhand von Fragen zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und staatlicher Einflußnahme in den Herkunftsländern.

Das kann man, wenn man mal "Global Act", "Patriot Act" und NSA Affäre komplett außen vor lässt, als Plädoyer gegen Huawei verstehen.
Jedoch stellt sich hier ganz von selbst die Frage, was für uns in Europa eigentlich irgendeine nationale Rechtsstaatlichkeit bedeuten soll, wenn diese Rechtsstaatlichkeit ausdrücklich nicht für uns Europäer als Spionageopfer gilt.
Es ist für ein Kriminalitätsopfer im Allgemeinen auch nicht sonderlich relevant, ob sein Schädiger im allgemeinen oder dem Anschein nach, ein netter Kerl ist.

Das eigentliche Problem - Datenschutzverletzungen oder Milliardenschäden durch Industriespionage, behandelt diese Initiative nicht.

Doch ein zartes Pflänzlein der Hoffnung blüht durchaus noch und es blüht bei den Grünen...

DIY or die (oder "Von China lernen, heißt...")

„Bislang führen wir die Debatte um die Rolle Huaweis, um die digitale Souveränität Europas und um Versäumnisse in der IT-Sicherheitspolitik leider noch immer extrem oberflächlich“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz dem RND. „Wir müssen die sich derzeit bietende Chance einer echten digitalpolitischen Neuaufstellung Deutschlands und Europas nutzen“, forderte der Digitalexperte. „Für alle Tech-Firmen, auch und gerade für die europäischen, müssen verbindliche Mindeststandards definiert, diese von unabhängiger Seite kontrolliert und Verstöße, nötigenfalls durch ein klares Haftungsregime, auch tatsächlich sanktioniert werden“, so von Notz.

Was von Notz da so vorsichtig anspricht, bedeutet zuende gedacht eigentlich nicht weniger, als eine europäische IT-Revolution.
Autoritäre Staaten mit den entsprechenden Mitteln, haben längst Anstrengungen unternommen, sich in IT-Belangen zu emanzipieren.

Russland produziert eigene (vgl. schlechte) Mikroprozessoren und verwendet ein spezielles Smartphone-OS, China verbreitet eigene Betriebssysteme, Suchmaschinen und, eben, Hardware - Huawei ist nicht vom Himmel gefallen.

Was autoritäre Staaten bewerkstelligt haben, um sich (bestenfalls) vor ausländischer Einflußnahme zu schützen oder (schlechtestenfalls) um ihr Volk zu knechten, kann die Europäische Union durchaus ebenfalls schaffen.

Um wirklichen Datenschutz, fairen Wettbewerb und durchaus auch die europäische Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir eigene Hardware entwickeln, eigene Software entwickeln und zumindest unsere öffentliche Infrastruktur umstellen.
Das ist für einen Bruchteil jener Kosten machbar, welche die Mitgliedsstaaten der EU alle paar Jahre an Lizenzgebühren in die USA abführen, es wird Arbeitsplätze schaffen und die EU in IT-Belangen auf Augenhöhe mit den USA und China bringen.

Doch bis dahin...
Warum das bisher noch nicht geschehen ist, erläutere ich ein andernmal.
Fakt ist aber eins:
Wenn wir uns mit den bestehenden Verhältnissen arrangiert haben, wenn wir kein Interesse daran haben uns zu emanzipieren, dann ist es im Endeffekt egal, an wie viele Abnehmer wir unsere Daten verschleudern.

Ein spaßiger Gedanke zum Schluß:
Vielleicht führt eine Diversifizierung der uns ausspionierenden Mächte ja im Endeffekt zu weniger Spionage - weil die sich gegenseitig behindern.


 

Mittwoch, 22. Januar 2020

And the winner is...?

Die nächste Wahl gewinnt...
Bevor auch nur ein Plakat gehängt oder auch nur eine Stimme abgegeben wurde, steht der Sieger der kommenden Wahl bereits fest. Jeder Wahl, ob nun die Kommunalwahlen 2020 in NRW oder die Bundestagswahl 2021.
Es ist die Facebook Ireland Ltd..

Denn schon längst haben die politischen Kräfte der Bundesrepublik die "sozialen Medien" für sich entdeckt, seien es nun Parteien, Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Seit einiger Zeit bereits, bieten Parteien auch interne Schulungen für den korrekten Gebrauch "sozialer Medien" an. Man will endlich weg von dem Mief der plakatklebenden analogen Welt und etablierter Bestandteil des Raumes sein, den die Allgemeinheit gemeinhin als "Internet" betrachtet.

Aber der Begriff "soziale Medien" führt ein wenig in die Irre, denn er suggeriert Vielfalt und Pluralismus, wo nichts dergleichen existiert.
Ob nun eine Partei ihre Pressemitteilung auf Facebook präsentiert oder ein schickes Bild auf Instagram postet oder sich mittels Whatsappgruppe bespricht - stets handelt es sich um Netzangebote ein und desselben Anbieters - eben jener Facebook Ireland Ltd.

Nun hat Deutschland im Allgemeinen nicht so sehr ein Problem mit Anbieterabhängigkeiten -  den Ansatz, ein gut funktionierendes Produkt eines kommerziellen Anbieters zu nutzen, kann man schon pragmatisch nennen.
Und es ist ja auch nicht grundsätzlich ein Problem, wenn ein Unternehmen mit einem Produkt oder einer Dienstleistung Geld verdienen will.

Schwierig wird es ab dem Punkt, an dem das Produkt als öffentliche Infrastruktur missverstanden wird, an dem das Produkt nicht mehr als Produkt eines kommerziellen Anbieters wahrgenommen wird.
Und so ist es doch bereits.
Facebook ist für manche Menschen das Internet, mit ein paar Einsprenklern durch Youtube oder vereinzelte Presseangebote, mal mehr, mal weniger seriöse, abgesehen.
Der gesamte netzbezogene Raum der politischen Willensbildung und des Austausches.

Nach Pizzahut, nach Pizzahut, McDooonalds... 

Das ist, als ob sämtliche diesbezügliche Kommunikation nur noch im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden würde - zudem einem McDonalds, dessen Verkaufsraum man mittels Andrang auf Republikgröße aufgeblasen hat.
Denn, natürlich kann man noch in anderen Räumen des Internets kommunizieren - es interessiert nur keinen. Es ist niemand dort, der teilnimmt. Zuhört.

Und als vermeintliche Alternative, bietet sich mit Instagram ein Produkt desselben Anbieters an.
Und das ist ein Problem, vor allen Dingen für den politischen Diskurs.

Und damit meine ich noch nicht einmal nur den Datenschutzaspekt oder die erratische Moderation oder den Umstand, dass für Facebook noch nicht einmal eine deutsche Niederlassung existiert, die man bei strafrechtlichen Verstößen problemlos und direkt kontaktieren kann (die Hamburger Niederlassung verkauft nur Werbeanzeigen und ist gerichtlich von jeder Verantwortung für den Inhalt der Plattform freigesprochen worden).

Bleiben wir beim Bild des Verkaufsraums. Da stehen wir also alle an der Kasse oder an den Tischen und unterhalten uns, jeder bemüht sich besonders überzeugend oder wenigstens auffällig zu sein. So stellen sich die allermeisten Menschen Facebook auch vor.

Und dann kommt der Filialleiter und dreht die Lautstärke eines Sprechenden auf magische Weise lauter. Sein Gerede dringt nun unvermeidbarerweise an alle Ohren und die anderen Sprechenden werden dementsprechend übertönt.
Warum sollte der Filialleiter das tun? Weil Facebook eben nicht McDonalds ist und keine Burger verkauft, sondern Reichweite.

Die sogenannte "organische Reichweite", also das was sich aus Likes und Shares errechnet, wurde in den letzten Jahren immer mehr zugunsten bezahlter Reichweite abgesenkt. Und das gilt beileibe nicht nur für das, was sich auf den ersten Blick als Werbeanzeige erkennen lässt, Amazon oder Wish oder ähnliche Werbung.
In Facebookwerbung kann jeder investieren und jeder kann mittels finanziellem Einsatz dafür sorgen, dass seine Beiträge in den Timelines zuvor ausgesuchter Zielgruppen erscheinen.

"Achtung! Achtung! Unser Glaube ist unser Geld!"

Im Raum "Facebook", also dem, was viele Menschen als Internetpendant zum öffentlichen Raum verstehen, zählt nicht nur Argument und Aufmachung, sondern vor allen Dingen finanzieller Einsatz und entsprechend gut bestückt sind auch die Werbeetats der Parteien, für dieses sogenannte "Microtargeting". Es ist kein Wunder, wenn Sie zufällig mehr Beiträge der CDU oder der SPD in die Timeline gestrahlt bekommen, als beispielsweise von der PDL. Denn beide Parteien investieren ein Vielfaches in diese Form der Kommunikation.
Das hat mit politischem Wettbewerb, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt, nur wenig zu tun.

Natürlich hat es Materialschlachten im politischen Wettbewerb schon immer gegeben. Die einen kaufen 100 Plakate, die anderen 200. Aber ein Werbeplakat ist als ein solches erkennbar.
Die Infiltration eines als öffentlich wahrgenommenen Diskursraumes, zudem auch noch gestützt auf beständiges Profiling des Anbieters dieses Raumes, ist hingegen eine ganz andere Hausnummer. Vielleicht keine Täuschung, aber doch die vorsätzliche Akzeptanz, einer beim Adressaten vorherrschenden Selbsttäuschung.

Der Reichweitenkauf auf Facebook ist mit dem Kauf von Werbeplakaten genau genommen nicht wirklich vergleichbar. Beim Werbeplakat kaufst Du ein Plakat. Bei der Facebookreichweite, kaufst du das Plakat, die Plakatwand und die Straße, Stadt und Welt, in welcher das Plakat hängt.

"...und ein Gewissen hat es nicht..."
 
Profitieren tut davon paradoxerweise die politische Kraft, die am wenigsten von allen Bundestagsparteien in Facebookwerbung investiert - die AfD.
Dies ist aber nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn die AfD betreibt auf Facebook ein gänzlich anderes Geschäft, als die etablierten Parteien.
Die AfD informiert beispielsweise keine Leser mit Berichten zu irgendeiner Straßenbahnstreckenplanung.
Ihre Beiträge sind stets auf den Bauch abzielende Fakenews, flankiert von konzertierten Social Media Aktionen und sogenannten "Sockenpuppen"accounts. Das sind Beiträge, die in ihrer Gesamtheit (inkl. der zugehörigen Reaktionen), das Optimum aus dem Facebookalgorithmus der "organischen Reichweite" herausholen - die zwar gegenüber dem Sponsoring abgeschwächt sein mag, aber immer noch Grundlage der allgemeinen Funktion von Facebook ist.
Vereinfacht könnte man sagen, der Facebookalgorithmus ist das natürliche Biotop für emotionalisierende Bestätigungen von Vorurteilen und ähnlichen Selbsttäuschungen.
Und überspitzt könnte man sagen, dadurch, dass etablierte Parteien mittels Teilnahme und Werbegeldern, Facebook Bedeutung verleihen, querfinanzieren sie die Hetze der AfD.

"Gibst Du mir Steine, geb ich dir Sand"

Denn natürlich erhält Facebook seine Bedeutung durch die Summe aller Teilnehmenden. Dadurch, dass wir beständig Content für die Plattform produzieren, der wieder andere genug interessiert, um sich auf dieser Plattform aufzuhalten.
Als Facebook populär wurde, haben viele Akteure ihre bisherigen Netzaktivitäten auf diese Plattform verlagert. Das gilt auch und vielleicht vor allem für die Grünen, eine Partei, bei der man vor gut zehn Jahren schon mal Applaus bekam, wenn man eine Rede mit "Liebe Follower" begann.
Aber schon damals gab es Leute die vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt haben. Ich war einer davon.

Vereinfacht gesagt, hatten z.B. die Grünen vor gut zehn Jahren eine vielfältige und gehaltvolle "Bloggosphäre" und nur der Googlealgorithmus (auch noch so ein Thema) entschied, wie weit oben man in den Suchmaschinenergebnissen auftauchte. Facebookcontent taucht erst gar nicht in Suchmaschinenergebnissen auf.
Facebookcontent wirkt nur auf Facebook und es bedarf eine Facebookaccounts, um kompletten Zugang zu diesem zu haben.
Man könnte also sagen, wir haben uns selbst Reichweite genommen, um die Bedeutung einer Plattform zu pushen, in deren Ökosystem wir uns nun wieder Reichweite kaufen.
Und dabei haben wir, mit vielen Anderen, noch mit dafür gesorgt, dass der (größere) Raum, in welchem wir vorher Reichweite hatten, heute nicht einmal mehr als "Raum" wahrgenommen wird.
  
Und jetzt?

Natürlich kann man sich den Realitäten nicht entziehen. So verständlich der Boykottgedanke auch sein mag, jedenfalls wenn man die entsprechenden Problematiken als solche erkennt, so klar sollte aber auch sein, dass man den nun entwickelten Raum nicht den reaktionären Kräften überlassen darf.

Aber ebenso darf man nicht aus den Augen verlieren, was wir da gerade brach liegen lassen.

Das Internet ist eine Sphäre frei zugänglichen Wissens und der Kommunikation. Und auch wenn es niemals so anarchisch frei gewesen sein mag, wie es sich der eine oder andere vorgestellt hat, muss uns bewusst bleiben, dass es da einen öffentlichen Raum gibt, den wir für uns reklamieren können, den wir als halbwegs freies Gut teilen können.
"Usability" und Komfort darf für uns auf Dauer nicht alles sein - nicht wenn es dazu führt, dass wir freiwillig diese Räume aufgeben, um uns in die Obhut von Körperschaften zu begeben, deren Interessen naturgemäß nicht identisch mit den unsrigen sein können.
Wenn wir das für wünschenswert halten, könnten wir uns genauso gut in die Obhut der KP China begeben.

Wenn wir "Social Media" als etwas für uns Nützliches erkannt haben, dann sollte unser Ziel freie soziale Medien sein - getragen von allen, frei und unmoderiert, so integer und zweifelhaft wie die Summe ihrer Teilnehmer.

Wir sollten daran arbeiten, dass die Debatten nicht mehr nur im Verkaufsraum von McDonalds stattfinden.