H.
H. hat nie in seinem Leben auch nur einer Fliege was zuleide tun können.
H. hat nie in seinem Leben auch nur einer Fliege was zuleide tun können.
Er hat sich nie
geprügelt, hat nie seine Hand erhoben. Es wäre ihm vermutlich auch
gar nicht möglich gewesen – die Hemmschwelle, die viele von uns
kennen, welche uns daran hindert gewalttätig zu werden, war bei ihm
stark ausgeprägt.
Und trotzdem fiel
seine Partnerin über all die Jahre, mindestens drei Mal rücklings
durch die Milchglasscheibe der Küchentür.
Der Ablauf war immer
derselbe. H. kam nach Hause (oder das, was er für sein Zuhause
hielt), meistens abgespannt und müde. Er setzte sich in die Küche,
welche durch eine Tür mit Milchglasscheibe mit dem Wohnungsflur
verbunden war.
Und fand sich überraschend in einer Stresssituation wieder.
Seine Partnerin, mal alkoholisiert, mal nicht, begann sofort auf ihn einzureden. Eindringlich.
Und fand sich überraschend in einer Stresssituation wieder.
Seine Partnerin, mal alkoholisiert, mal nicht, begann sofort auf ihn einzureden. Eindringlich.
Anlässe dafür bot
H. sicher zu Genüge, aber das spielt jetzt weniger eine Rolle.
Ab einem gewissen Punkt in einem sowieso schon sehr einseitigen Gespräch, war immer mehr nur noch sie zu hören. Sie war laut, wiederholte sich, wurde dann und dort auch schon mal ausfallend, bis hin in den intimsten und privatesten Bereich.
Und dann wurde immer irgendwann der Punkt erreicht, an dem er darum bat, dass sie ihn in Ruhe ließ und, da das immer vergebens war, er schließlich gehen wollte.
Ab einem gewissen Punkt in einem sowieso schon sehr einseitigen Gespräch, war immer mehr nur noch sie zu hören. Sie war laut, wiederholte sich, wurde dann und dort auch schon mal ausfallend, bis hin in den intimsten und privatesten Bereich.
Und dann wurde immer irgendwann der Punkt erreicht, an dem er darum bat, dass sie ihn in Ruhe ließ und, da das immer vergebens war, er schließlich gehen wollte.
Und sie ihn nicht
gehen lassen wollte, stattdessen ihm den Weg versperrte und weiter
auf ihn einredete, vielleicht sogar noch giftiger in einem eh schon
toxischen Gespräch.
Nicht einmal sie
selbst hat je bestritten, dass er einfach nur an ihr vorbei wollte.
Mindestens einmal
gab es ein Gerangel, weil sie ihn festhielt und er sich losreissen
wollte, aber meistens wollte er nur schnell an ihr vorbei und sie
versuchte, wie ein Footballspieler, ihn aufzuhalten.
Und dann das
Klirren, wie in einem Film, die Kinder blitzschnell im Wohnungsflur
versammelt, sie am Boden zwischen den Scherben, er erstarrt und vor
Überforderung und Schrecken wie gelähmt.
Und dann, da wie
durch ein Wunder niemand verletzt wurde, flüchtete er durch die
Wohnungstür in die Nacht hinaus.
Warum?
Ich schreibe diesen Text, weil ich den Eindruck habe, dass es Texte wie diesen noch nicht ausreichend gibt. Häusliche Gewalt, gerade in den heutigen Zeiten, ist glücklicherweise gerade… weniger wenig auf dem Schirm der Gesellschaft, als sie es sonst ist.
Ich schreibe diesen Text, weil ich den Eindruck habe, dass es Texte wie diesen noch nicht ausreichend gibt. Häusliche Gewalt, gerade in den heutigen Zeiten, ist glücklicherweise gerade… weniger wenig auf dem Schirm der Gesellschaft, als sie es sonst ist.
Aber folgt man den
gängigen Erzählungen, so gibt es nur eine Opfergruppe – Frauen.
Laut den
Kriminalstatistiken ist damit auch an die Mehrheit der Opfer gedacht
– vier Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt, sind nun einmal
Frauen, daran gibt es nichts zu deuteln.
Und u.A. deswegen
gibt es Frauennotrufe, erteilen Polizisten Wohnungsverweise, gibt es
Frauenhäuser – und all das noch viel zu wenig.
Aber
Ein
Facebooknutzer aus Österreich schreibt:
„Ein kleiner Aspekt aus der realen Welt:
Meine Frau ist dipl. Sozialarbeiterin und Bewährungshelferin.
Und es regt sie regelmäßig auf, wie unaufgeklärt Menschen, die mit Gewalt in Familien beruflich nicht tagtäglich konfrontiert sind, an die Sache rangehen.
„Ein kleiner Aspekt aus der realen Welt:
Meine Frau ist dipl. Sozialarbeiterin und Bewährungshelferin.
Und es regt sie regelmäßig auf, wie unaufgeklärt Menschen, die mit Gewalt in Familien beruflich nicht tagtäglich konfrontiert sind, an die Sache rangehen.
Gerade jetzt,
in Zeiten des Lockdown, lief im österreichischen Fernsehen verstärkt
Werbung für den Frauennotruf. Diese Werbung stellte eine stereotype
Prügelsituation dar, in der - natürlich - der rohe, unkontrollierte
Mann die arme, hilflose Frau verdroschen hat. Am Ende sah man in
Großaufnahme das blutig geschminkte Gesicht der Frau, darunter
eingeblendet die Telefonnummer.
Der berufliche Alltag meiner Frau
erzählt eine andere, ignorierte Geschichte. Statistiken sind mit
Vorsicht zu genießen, weil Männer, die verprügelt werden, ein
Identitätsproblem haben. Die Scham ist noch größer als bei Frauen,
und solche Werbungen verstärken noch das Gefühl, man hat in der
Welt der Opferhilfe als Mann nichts verloren. Bitte alle die Hände
hoch, die schon mal einen breitenwirksamen Spot für männliche Opfer
häuslicher Gewalt gesehen haben. Keiner? Dachte ich mir. Aber es
gibt sie. Mehr, als die "Statistik" erfassen kann, weil sie
sich schlicht nicht an irgendjemand wenden (können?). Meine Frau
erzählte mir, wenn sich Männer tatsächlich über die Schwelle
trauen, den Notruf zu wählen, der ihnen im Fernseh-Spot offeriert
wird, werden sie schroff darauf hingewiesen, an der falschen Stelle
zu sein.“
Männer als Opfer
Ein Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt sind Männer. Dabei wird allgemein von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Aber selbst das ist schon deutlich mehr als nur eine Ausnahme von der Regel. Das ist zum Beispiel ungefähr das Doppelte des Anteils, den Ausländer an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands haben.
Es ist ungefähr das Dreifache des Anteils der Menschen, die in Deutschland blond zur Welt kommen.
Also beileibe keine vernachlässigbare Größe.
Ein Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt sind Männer. Dabei wird allgemein von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Aber selbst das ist schon deutlich mehr als nur eine Ausnahme von der Regel. Das ist zum Beispiel ungefähr das Doppelte des Anteils, den Ausländer an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands haben.
Es ist ungefähr das Dreifache des Anteils der Menschen, die in Deutschland blond zur Welt kommen.
Also beileibe keine vernachlässigbare Größe.
Doch finden wir
diesen Umstand in der dazu gehörigen Debatte entsprechend
repräsentiert?
Ich denke: Nein, das
kann man so nicht sagen.
Man sieht den Fall
bestenfalls oft eingeräumt, so wie ein exotisches Ereignis,
pflichtschuldig erwähnt um sich dann doch wieder der größeren
Opfergruppe widmen zu können.
Wir sehen keine
Plakatwände oder Werbespots die auf Männernotrufe hinweisen und was
Männerpendants zu Frauenhäusern angeht – als ich das letzte Mal
gegoogled habe, konnte ich sie mit Fingern und Zehen abzählen.
Plätze. Nicht
Häuser.
Opfer sein - verboten
Am Erheblichsten
empfinde ich jedoch die mangelnde Akzeptanz von Männern als Opfer.
Die bloße Erwähnung
von Männern als Opfer häuslicher Gewalt, bringt dir in
entsprechenden Diskussionen, Reaktionen ein, die von einem müden
Lächeln bis zur offenen Anfeindung reichen.
Gerade von Frauen.
Gerade von Frauen.
Der Gedanke von
Frauen als Täterinnen und Männern als Opfer erscheint manchem
interessierten Diskutantenmenschen höchst unangenehm zu sein.
Das einer Frau, die
selbst einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, es schwerfällt,
Verständnis für Opfer aus der Gruppe aufzubringen, aus welcher ihr
Täter stammt, kann ich durchaus nachvollziehen.
Warum man jedoch zu
dieser Thematik, pauschal auf so eine aggressive Empathielosigkeit
stößt, entzieht sich meinem Verständnis.
Empfinden Opfer
nicht normalerweise Solidarität mit anderen Opfern?
Warum ist das hier anders?
Warum ist das hier anders?
Die Antwort lautet
meiner Meinung nach: Rollenverhalten.
Das Opfer Frau
empfindet keine Solidarität für das Opfer Mann, da sie selbst
geschlechtsspezifische Stereotypen vertritt.
Und damit wäre dann
der Punkt erreicht, an dem wir erkennen, dass es bei häuslicher
Gewalt nicht wirklich immer um häusliche Gewalt geht.
Vielmehr wird das
Thema immer auch mit anderen Genderthemen in Verbindung gebracht, die
alle gemeinsam haben, dass Nichtmänner in unserer Gesellschaft
strukturell benachteiligt werden.
Da geht es dann auch
um Themen wie Genderpaygap, Sexismus, „Männerbünde“, die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bis hin zu der (linguistisch
nicht unumstrittenen) These, dass schon die Sprache Nichtmänner
unterdrückt.
Die pauschale
Verortung von Männern als Tätern und die (nicht immer scherzhaft
gemeinte) Deklaration von Frauen als „die besseren Menschen“, hat
für Jene die das verfolgen den Vorteil, dass ein komplexes Thema
vereinfacht und eine schuldige Gruppe gefunden wird.
Meiner Meinung nach,
ist es anstelle dessen eigentlich ziemlich unstrittig, dass „Gender“
etwas ist, welches beständig von allen Beteiligten konstruiert wird
– eine ganz oder teilweise von Männern dominierte Welt, ist meiner
bescheidenen Ansicht nach, schon aus mathematischen Gründen nicht
ohne die Mitarbeit von Frauen aufrecht zu erhalten.
Natürlich darf das
nicht zu Täter-Opfer Umkehrungen führen – aber die pauschale
Deklaration eines Geschlechts als Täter, ist mindestens genauso
rückständig und kontraproduktiv wie die Ansicht, Frauen gehörten
zuhause an den Herd.
Vielleicht bedingt
das Eine das Andere sogar.
Doch bevor ich mich
nun ebenfalls in der diffusen Themenvermengung zu lange aufhalte,
möchte ich wieder zur häuslichen Gewalt zurück.
Back to topic
Männer werden also auch Opfer häuslicher Gewalt, aber es wird ihnen nicht zugestanden.
Männer werden also auch Opfer häuslicher Gewalt, aber es wird ihnen nicht zugestanden.
Nicht wirklich.
Das beginnt schon
beim Gewaltbegriff, der in dieser Hinsicht vergleichsweise
willkürlich, auf die Anwendung körperlicher Gewalt bezogen ist.
Und ja, die 20%
Männeropfer sind Opfer körperlicher Gewalt.
Nehmen wir H. aus
dem Eingangsbeispiel einmal.
Gemäß des üblichen
Gewaltbegriffs, ist nur eine Person in der Geschichte gewalttätig
geworden – H.. Sei es durch ein Rempeln oder den Versuch sich
vorbei zu drücken – er ist derjenige, der seine Partnerin durch
die Küchentürscheibe befördert hat.
Der Vorlauf hat
gemäß diesen Gewaltbegriffs, nichts mit Gewalt zu tun.
Weder der Umstand, dass sie ihn zuvor am Gehen gehindert hat, noch das Einreden ohne Unterlass.
Jeder halbwegs achtsame Mensch, sieht darin sicher eine Übergriffigkeit.
Aber Gewalt?
Sicher bin ich mir darin auch nicht, aber Fakt ist, dass permanentes Einreden oder das Nicht-zur-Ruhe-kommen-lassen oder permanente Beschallung, der sich das Opfer nicht entziehen kann, zu den profunden Verhör und Foltermethoden zählen, die z.B. in Guantanamo angewendet werden.
Weder der Umstand, dass sie ihn zuvor am Gehen gehindert hat, noch das Einreden ohne Unterlass.
Jeder halbwegs achtsame Mensch, sieht darin sicher eine Übergriffigkeit.
Aber Gewalt?
Sicher bin ich mir darin auch nicht, aber Fakt ist, dass permanentes Einreden oder das Nicht-zur-Ruhe-kommen-lassen oder permanente Beschallung, der sich das Opfer nicht entziehen kann, zu den profunden Verhör und Foltermethoden zählen, die z.B. in Guantanamo angewendet werden.
Ich will nicht jede
Gewalttat mit einem etwaigen Vorlauf entschuldigen. Mir geht es um
Opfer, nicht um Täter – wobei, zur Vermeidung von Gewalttaten es
sicher prinzipiell Sinn machen würde im Hinterkopf zu behalten, dass
Opfer auch Täter werden können.
Aber auf den
Opferaspekt geschaut, wer ist in dieser Geschichte eigentlich Opfer
geworden?
Meiner Meinung nach,
ist es H. gewesen.
Er wurde bedrängt, er wurde beleidigt und ihm wurde über Stunden nicht die Möglichkeit gegeben, sich zurück zu ziehen – und das auch noch in seinem „Zuhause“, seinem Ruheort und Schutzraum.
Er wurde bedrängt, er wurde beleidigt und ihm wurde über Stunden nicht die Möglichkeit gegeben, sich zurück zu ziehen – und das auch noch in seinem „Zuhause“, seinem Ruheort und Schutzraum.
Glücklicherweise
hatte H. damals noch ein Zimmer bei seinen Eltern. Ich habe mich oft
gefragt, was gewesen wäre, wenn er dauerhaft überhaupt keinen
Fluchtort gehabt hätte.
Einen Ort an den er
sich wenden kann, gab es damals in GE für Männer jedenfalls nicht.
Es gab auch keine Hotline. Und die Polizei – hätte diese seine
Partnerin der Wohnung verwiesen, für das was diese mit ihm getan
hat?
Stattdessen fuhr er
Nachts vor Wut gegen Verkehrsschilder. Er ging in Spielhallen.
Das war es, was die
Gesellschaft für Opfer wie H. an Hilfe zu leisten imstande war.
Und, mit Verlaub,
sonderlich viel hat sich daran nicht geändert.
Männer haben enorm
höhere Selbstmordquoten als Frauen.
Ihr Opferanteil an
häuslicher Gewalt wird nicht im entferntesten in der Debatte um
häusliche Gewalt berücksichtigt.
Häusliche Gewalt
trifft weit mehrheitlich Frauen und es wird zu wenig dagegen getan.
Häusliche Gewalt
trifft minderheitlich, aber nicht unerheblich, Männer und es wird gar
nichts getan.
Das zu Schreiben ist
mir schwer gefallen, denn auch ich habe das so in mir drin und
bekomme es so vermittelt: Männer sind Täter.
Männer sind keine
Opfer.
Wer Männer als
Opfer deklariert, relativiert das Opfertum von Frauen.
Wer häusliche
Gewalt gegen Männer thematisiert sehen möchte, ist rückständig
und antifeministisch.
Und es fällt mir
schwer zu glauben, dass dieser Text nicht ohne Argwohn gelesen wird –
dass er wie Texte über Häusliche Gewalt gegen Frauen gelesen wird.
Das in ihm nicht nach vermeintlichen Relativierungen Ausschau
gehalten wird.
In der
Parteipostille der GRÜNEN war vor kurzem eine Diskussion… mit…
drei(?) Frauen und einem Mann. Der Mann, Sozialarbeiter in einem
Männerprojekt, erwähnte das Männer auch Opfer werden können.
Die Erwiderung einer der beteiligten Damen war: „Jetzt spricht ja wieder nur der Mann!“
Die Erwiderung einer der beteiligten Damen war: „Jetzt spricht ja wieder nur der Mann!“
Als Angehöriger des
Tätergeschlechts, darf ich also eigentlich noch nicht einmal darüber
schreiben.
Da Frauen es aber im Allgemeinen nicht tun, habe ich es trotzdem getan.
Da Frauen es aber im Allgemeinen nicht tun, habe ich es trotzdem getan.
Letzter GedankeIn einem Sachverhalt, in dem es nur Täter und Opfer geben kann, sollte es niemandem verwehrt sein, gesichtswahrend Opfer sein zu können, wenn er zum Opfer geworden ist.